Prinz Erenwin gehört dem Volk der Nauraka an, unter Wasser lebenden Wesen, die in Waldsee die Tiefen bewohnen. Bei einem Kampf mit einem Ungeheuer wird er von seiner Jagdtruppe abgeschnitten und treibt bewusstlos immer tiefer ins Wasser, in Gefilde, die sonst kein Nauraka betreten darf. Als Erenwin wieder zu sich kommt, herrscht Finsternis um ihn herum. Auf seinem Weg zurück zu seinem Volk findet er eine große schwarze Perle und nimmt sie heimlich mit zu den Nauraka. Sein Vater, der Hochfürst des hiesigen Nauraka-Volkes, ist nicht begeistert von der langen Abwesenheit des unliebsamen zweiten Sohnes und verbannt ihn aus den Wassergründen seiner Heimat. Mit seiner frisch vermählten Schwester und deren Bräutigam begibt Erenwin sich auf die Reise, die schwarze Perle in seinem Gepäck – und mit jedem Tag nimmt sie ihn mehr in Besitz und er verändert sich …
In »Nauraka: Volk der Tiefe« führt Uschi Zietsch die Leser zurück nach Waldsee, der Welt, die sie für ihre Trilogie der »Waldsee-Chroniken« entwarf. Während hier der größte Teil der Handlung an Land stattfand, wird mit den Nauraka im neuen Band die Welt unter Wasser beleuchtet. Die Chroniken muss man nicht gelesen haben, »Nauraka« macht auch ohne sie Sinn und weist nur durch einige wenige erwähnte Charaktere leichte Verbindungen zu den übrigen drei Bänden auf. Letztlich steht die Geschichte aber für sich und ist – durchaus mit offenem Ende – abgeschlossen und nicht Teil einer neuen Trilogie.
Eri, der Protagonist und Angehöriger der Nauraka, erkennt selbst, was diese Unterwasserwelt so besonders macht: Es ist die neue Dimension, um die die Wahrnehmung – und das Buch – erweitert wird: Kämpft ein Krieger am Land nur in zwei Dimensionen – nach vorne und hinten, rechts und links – hat ein Nauraka zusätzlich die Tiefe zur Verfügung, das Oben und Unten, das sich ihm im Wasser mit Leichtigkeit erschließt. Um diese Dimension erweitert die Autorin ihren Roman besonders in der ersten Hälfte, die gänzlich im Wasser stattfindet. Im Fantasy-Genre betritt sie damit einen noch relativ unerforschten Bereich. Geschichten von Kriegern an Land, die Heldentaten vollbringen und hübsche Mädchen retten, kennt jeder – bei der Frage nach einem Roman, der unter Wasser spielt und dabei für erwachsene Leser konzipiert ist, muss man jedoch erst überlegen.
In diesem Buch entstehen neue, bisher ungekannte Wesen, allesamt zwar eingewoben in eine dem bekannten Muster folgende Handlung, aber dennoch originell gezeichnet und mit treffenden Worten umschrieben, so dass von den fremden Tiefen ein lebhaftes Bild vor dem inneren Auge entsteht. Es geht hier nicht um die altbekannten Trolle, Feen und Alben, sondern neue Figuren werden in den Mittelpunkt des Romans gerückt. Die beiden wesentlichen Protagonisten, Eri und seine Schwester, reifen zusehends mit dem Fortschritt der Seiten und werden somit zu glaubhaften Figuren, deren Leben über mehrere Jahre hinweg beobachtet werden kann.
»Nauraka« – eine Geschichte in unerforschten Welten, mit zahlreichen mystischen Wesen versehen – flüssig zu lesen und überzeugend erzählt. Fantasy-Fans, die von den üblichen Geschichten um noble Krieger gelangweilt sind, kann dieses Buch interessante Abwechslung bieten!
Uschi Zietsch: Nauraka: Volk der Tiefe.
Bastei Lübbe, September 2009.
512 Seiten, Taschenbuch, 15,00 Euro.
